Zwischen Ohnmacht und Macht in der Malerei von Henriette Müller

Seit Dezember 2015 präsentiert die Galerie der Remise Steglitz Malerei und Druckgraphik der Berliner Künstlerin Henriette Müller. Im Mittelpunk ihrer großformatigen Gemälde steht das Thema Krieg. Der Krieg als Schmerz, Verzweiflung und Verlust wird von der einfühlsamen Übermacht und der desolaten Ohnmacht  der schweigenden Natur umrahmt.

Das Öl-Bild auf Gaze und Leinen mit dem Titel „Mittelmeer“ (2015) aus der Serie „Kaliyuga“ stellt eine Küstenlandschaft in Morgendämmerung in Blau dar. Im Vordergrund des Bildes steigt aus dem Erdboden eine dichte Nebelschicht in Rot und bedeckt den rechten Teil des Bildes. Die Umrisse des angedeuteten Waldes, oder Felswand im Hintergrund dominieren als kräftige Linie, die mit der Collage der Gaze reliefartig betont wird.

Kaliyuga als „Zeitalter des Streites“ und als das „dunkle Zeitalter“ gilt in der hinduistischen und der buddhistischen Kosmologie als das Zeitalter des Zerfalls und des Verderbens, des Krieges und des Zerfalls menschlicher Beziehungen.

Das Gemälde „Schwarzer Mann“ (2000) ist eine abstrahierte figurative Darstellung zweier Gestalten, die sich berühren und die die dunkle Gestalt eher wie einen Schatten aussehen lässt. Die rote Figur steigt aus der Form eines Feuers im Vordergrund des Bildes auf. Das frühere Werk von Henriette Müller steht im Zusammenhang mit der Thematik des jüngeren Bildes („Mittelmeer“) und bestätigt thematisch die Bilderreihe der Künstlerin mit dem wiederkehrenden dramatischen Programm des „brennenden“ Zeitalters. Die Verbindung kombiniert das Bestimmte durch die figurative Komposition im „Schwarzer Mann“ und das Unbestimmte durch die Feuer-lodernde Landschaft des Bildes „Mittelmeer“. Der „schwarze Mann“, als Symbol des schwarzen apokalyptischen Dämons „Kali“ steht selbst im Mittelfeld der Zerstörung. Betont wird diese Wirkung durch die Strahlkraft der roten Farbe beider Bilder im Vordergrund der Kompositionen.

Das Gemälde „War in Syria“ (2014), ebenfalls aus der Serie „Kaliyuga“, lässt  Henriette Müller filigrane Minarette, Moscheen und Kirchen unter dem schwarzen Kriegs-Regen und roten Himmel im unteren Rand des Bildes verschwinden. Die expressive Ausstrahlung des Bildes gibt dem Betrachter den Anreiz, einen subjektiven Sinneseindruck zu erwecken. Die Künstlerin verfremdet die Landschaft, um sie neu zu beleben; so wie die Vision der unbestimmten Dauer des Zeitalters „Kaliyuga“, die bis zur Geburt eines neuen hoffnungsvollen Zeitalters bestehen soll. Die Hoffnung eines neuen Anfangs kann mit der Hervorhebung der Naturlandschaft assoziiert werden.

Auf den ersten Blick wirken Henriette Müllers Bilder fast rätselhaft, wie eine unbekannte, mystische Umgebung, eine Landschaft, die sich auflösen will. Insbesondere der Wechsel zwischen den Kontrasten von Schwarz, Rot sowie Blau und Rot löst den flächigen Aufbau in ihren Bildern auf, die den beschaulichen Moment aufbauen. Die Wechselwirkungen aus Abstraktion und dem klar Lesbaren schimmern bewusst zwischen Weite und Nähe.

Henriette Müller wählt die Landschaft als Akteur ihrer Malerei und lässt die Natur durch ihre Macht und Ohnmacht das Geschehen im Krieg ausmalen. Sie erzeugt in ihren Werken eine Dynamik, deren Einwirkung durch die Symbolik der verwendeten Materialien - Sand und Asphalt - betont wird. Die Materialbedeutung, zusammen mit der malerischen Gestik öffnet den Inhalt des Bildes dem Geist, der mit schöpferischen Augen betrachtet. 

Juliana Hellmundt, Kunsthistorikerin, Januar 2016

Kunsthistorikerin J. Hellmundt über die Serie "kaliyuga"